Die Cordillera Blanca ist ein imposanter Gebirgszug in den Anden, der während der Deutsch-Österreichischen Alpenvereinsexpeditionen in den 1930er Jahren zum ersten Mal kartografiert wurde und mit über 50 Bergen über 5700 Metern die Bergsteigerwelt lockt. Doch nicht nur die Bergfexe sind angetan vom höchsten Gebirge Südamerikas, auch die beiden österreichischen Freeriderinnen Nadine Wallner und Melissa Presslaber haben ihre Ski- und Bergsteigerausrüstung eingepackt und werden in den nächsten vier Wochen, zwei bis drei der höchsten Gipfel besteigen und neue, extreme Lines fahren. Doch nicht nur die Befahrung dieser Berge ist eine Herausforderung, auch die Bergtouren sind nichts für schwache Nerven. Um die Gipfel erfolgreich zu erreichen, sind Mehrtagestouren mit verschiedenen Basecamps erforderlich und die Athleten werden an so mancher Stelle an ihre psychischen und physischen Grenzen kommen. Doch nicht nur das Skifahren steht im Vordergrund, das große kulturelle Gut, die Menschen und die peruanische Kultur sollen ein großer Bestandteil der Reise sein. Andreas Vigl, Sportfotograf und Skibergsteiger, begleitet die beiden Freeriderinnen und lichtet die besten Momente ab.
Eintrag #1: Das Abenteuer beginnt
Hi Leute,
Endlich geht es los! Wir sind gut in Lima gelandet und nach einer aufregenden und abwechslungsreichen achtstündigen Busfahrt heil in Huaraz angekommen. Die Hauptstadt der Region Ancash liegt auf 3091 Metern Seehöhe und schon jetzt sehen wir in der Ferne die majestätischen fünf- und sechstausender Berge leuchten – bei dem Anblick geraten wir schon jetzt ins Träumen. Doch noch ist es zu früh, sich diesen Bergen zu widmen.
Wichtig ist vorerst eine gute Akklimatisation, um sich bestens an die Höhe zu adaptieren, denn hier oben darf man nichts überstürzen. Wir vertreiben uns die ersten paar Tage die Zeit in Huaraz, checken die Lage und versuchen so viele Informationen wie möglich für unseren bevorstehenden Trip zu sammeln. Huaraz gilt als wichtiger Ausgangspunkt für die Bergtouren in der Cordillera Blanca und so gibt es hier ein paar Leute, die sich in der Gegend bestens auskennen. Da wir ja sowieso ein paar Tage hierbleiben, tauchen wir jetzt in die lokale Kultur ein und wo ginge das besser, als auf einem echten peruanischen Markt. Wir kaufen ein, sehen viele Dinge zum ersten Mal und sind fasziniert von dem bunten Treiben und den traditionellen Gewändern der Bewohner. Die Einheimischen empfangen uns mit offenen Armen, sind sehr herzlich und haben immer ein breites Lächeln im Gesicht. Schon am ersten Tag haben wir ein sehr heimeliges Gefühl hier in Huaraz.
Als nächstes steht ein Ortswechsel auf das Hochplateau auf 4300 Meter Seehöhe an! Wir werden eine Nacht oben schlafen und schauen wie es uns geht! Danach hoffen wir Ende der Woche die erste Warm-up Tour auf unseren ersten 5000er zu machen! Mehr dazu später. Jetzt erst mal “Hatun Matchay!”.
Bis bald,
Nadine
Eintrag #2: Hatun Matchay – Klettertour im „Steinernen Wald“
Hi Leute,
Wir haben uns in Huaraz gut eingelebt und sprühen vor Motivation, Melissa, unser Fotograf Andi und ich können es kaum erwarten mehr von der Gegend zu sehen. Unser erster richtiger Ausflug führt uns ins ca. zwei Stunden entfernte “Hatun Matchay”, was auf Quechua “Große Höhle” bedeutet. Vielen ist dieser Ort jedoch auch als “Rock Forest” bekannt – wer Bilder kennt oder selber vor Ort war, weiß warum! Hatun Matchay ist mit etwa 140 Kletterrouten das höchste Sportklettergebiet der Welt und mit 4300 Metern Seehöhe der perfekt Ort sich weiter zu akklimatisieren.
Nach einigen 6a- und 6b-Routen haben wir uns gut an die Höhe gewöhnt, die deutlich dünnere Luft macht sich während der körperlichen Belastung aber immer noch bemerkbar. Am Fuße von Hatun Matchay haben wir uns in die dort erbaute Steinhütte einquartiert und in bester Gesellschaft mit Gleichgesinnten vertreiben wir uns die Zeit. Vor Ort sind zwei Argentinier, eine Spanierin, ein Oberösterreicher und die Hausherrin Sophie, mit Camille, ihrer freiwilligen Helferin. Die beiden kümmern sich um uns und passen auf, dass es uns an nichts fehlt – wir kochen, essen gemeinsam und spielen spanische Lieder auf der Gitarre.
Für mich hat dieser Ort etwas Magisches und irgendwie hat mir die Klettertour ein unbeschreibliches Gefühl und inneres Gleichgewicht beschert.
Zurück in Huaraz stürzen wir uns wieder in das Geschehen und versuchen einen Bekannten des Tiroler Alpinisten Stephan Keck ausfindig zu machen, um weitere wertvolle Informationen für unseren ersten 5000er zu bekommen. Es muss noch viel organisiert werden – wir brauchen Esel und Treiber, um unser Equipment transportieren zu können, müssen uns mit genügend, vor allem leichtem, Proviant eindecken und die Bewilligung für den National Park ist auch noch ausständig.
Wir werden nun drei Tage unterwegs sein! Update folgt!
Bis bald,
Nadine
Eintrag #3: Die erste Abfahrt auf dem Urus Este
Hi Leute,
Wir haben unsere ersten Schwünge in den peruanischen Schnee gezogen!
Aber alles der Reihe nach, denn es war ein erstes spannendes Abtasten mit unserem ersten 5000er. Nachdem wir alles organisiert und alle Infos für den Trip gesammelt hatten, machen wir uns auf den Weg ins Ishinca Tal auf, wo die drei Gipfel Urus (5495 Meter Seehöhe), Ishinca (5530 Meter Seehöhe) und der höchste der drei, der Tocllaraju mit 6034 Metern Seehöhe, auf uns herunter schauen. Nach einer Weile auf der Hauptstraße nach Norden, biegen wir auf eine sehr holprige Schotterstraße ab und sehen nach kurzer Zeit die kleinen Berghütten der dort ansässigen Bewohner. Die traditionellen Gewänder der Frauen, bestehend aus bauschige Röcke, lange Wollstrumpfhosen, großen hohen Hüten und bunte Tüchern am Rücken lassen uns ein weiteres Mal begreifen, dass wir uns in einer uns völlig fremden Kultur bewegen und zeigen uns wie glücklich wir uns schätzen können, dieses Abenteuer in Angriff nehmen zu dürfen. Nach ca. einer Stunde kommen wir an einem auf 3900 Metern Höhe gelegenen kleinen Hochplateau mit See an, wo wir unseren Eseltreiber und seine Tiere treffen! In kürzester Zeit ist unser Gepäck auf den robusten Maultieren befestigt und es kann weiter gehen. Die Esel scheinen den Weg zu kennen, kaum bepackt, spazieren sie einfach los.
Das Ishinca Tal ist wunderschön und beeindruckt uns mit seinen riesigen Felswänden – unter anderem sehen wir auch schon den Hatun Ulloc. Nach zweieinhalb Stunden Fußmarsch durch leicht ansteigendes Gelände erreichen wir endlich den märchenhaften Zeltplatz auf 4400m. Durch unsere Vorbereitung in Hatun Matchay haben wir keine Probleme mehr auf dieser Höhe zu schlafen oder uns zu bewegen und beschließen sofort die ersten 500 Höhenmeter in Angriff zu nehmen und unsere Ski für den nächsten Tag zu deponieren. Dies spart uns wertvolle Energie am Gipfeltag. Nach getanener Vorbereitung richten wir uns im Zeltlager ein und dürfen im Abendlicht auf unser morgiges Ziel blicken. Nebenbei ragt der Tocollaraju monströs in den Himmel und wir erfahren, dass dort gerade vier Bergsteiger in Bergnot geraten sind. Das Rescue Team braucht in dieser Umgebung zwei bis drei Tage um zu den Verunglückten durchzudringen und die Bergung durchzuführen. Das erinnert uns wieder, dass wir Missionen detailgenau planen müssen, um nicht das gleiche Schicksal zu erfahren.
Am nächsten Tag läutet der Wecker um 5.00 Uhr morgens und wir bemerken in der Dunkelheit, dass die Temperaturen über Nacht stark gefallen waren. Nach dem Frühstück marschieren wir los und nachdem wir vom Skidepot weitere 150 Höhenmeter überwunden hatten, geht es mit unseren Skiern als Aufstiegshilfe unter den Füßen Richtung Gipfel. Auf 5000 Metern wird die Luft wird spürbar dünn, aber mit einem gleichmäßigen ruhigen Tempo und einigen Pausen erreichen wir um die Mittagszeit den unser Ziel – 5420 Meter, für alle von uns der erste 5000er mit Ski.
Die umliegende Berglandschaft ist überwältigend und wir können unsere Emotionen kaum in Zaum halten. Nach unserem erfolgreichen Gipfelsieg kommt nun der angenehme Teil der Tour, die Abfahrt. Es sind zwar nur einige Höhenmeter, aber die sind jeden einzelnen Schwung wert. Wir fahren in dieser Höhe besten Firn, doch schon nach kurzer Zeit ziehen Wolken auf und ein Graupelschauer zwingt uns zu einem schnellen Abstieg. Wir bepacken die Esel und machen uns auf den Rückweg hinaus durchs Ishinca Tal. Knapp vor Anbruch der Dunkelheit, nach einem 15 Kilometer langem Fußmarsch, erreichen wir wieder den See am Ende des Tales.
Geschafft, aber mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht, fahren wir zurück nach Huaraz. Nach dem eher leichten 5000er Urus Este (5420m) als Warm-Up planen wir nun unsere nächste Tour, die fünf bis sechs Tage in Anspruch nehmen wird. Unser nächstes Ziel ist der Quitaraju, der mit 6034 Metern und einer Westflanke mit über 50 Grad Steilheit lockt.
Bis bald,
Nadine
Eintrag #4: Auf dem Quitaraju – Auge in Auge mit der Gefahr
Hi Leute,
Die zweite Mission hatte es in sich und wir sind froh, heil zurück zu sein!
Das Ziel unseres zweiten Trips unseres Südamerika-Abenteuers ist der 6036 Meter hohe Quitaraju und schon die Anreise war mit witzigen und nervenaufreibenden Vorfällen gespickt. Wir hatten uns alle in ein viel zu volles Auto gezwängt und als nach eineinhalb Stunden die Blase drückt, müssen wir stehenbleiben, was uns den ersten Adrenalinschub verpasste. Auf der ausgesetzten Schotterstraße springt unser Auto nicht mehr an und wir müssen den vollbepackten Wagen Zentimeter für Zentimeter wenden, um ihn abwärtsrollen lassen zu können. Als der Motor dann endlich wieder läuft, kann es weiter gehen und wir sind froh, dass die Mission nicht schon am Anfang gescheitert war. Klopausen gibt es ab sofort aber keine mehr!
Die Dorfbar und der Weg ins Base Camp
Es ging jedoch weiter, wie es angefangen hatte. Endlich in Cashapampa auf knapp 2900 Metern Seehöhe angekommen, bekommen wir eine weitere Lehrstunden in peruanischer Gemütlichkeit – der Eseltreiber lässt stundenlang auf sich warten, doch zum Glück haben wir vor Ort genug Unterhaltung. Die Szenen, die sich vor der sogenannten “Dorfbar” abspielen erheitern uns. Einheimische torkeln durch die Gegend und nach kurzem Zögern, gesellt sich auch unser Koch William dazu – uns zaubert diese groteske Szene, auch wenn das Warten in dem Moment mühsam ist, ein breites Lächeln ins Gesicht. Gelassenheit scheint hier der Weg zur Genügsamkeit zu sein.
Um die Mittagszeit kann es dann weitergehen und der Weg durch das Santa Cruz Tal erinnert uns sofort daran, warum wir hier sind. Die gigantische Schlucht, mit ihren hochziehenden und angsteinflößende Felswänden erinnert an die Verdonschlucht in Südfrankreich – sobald sich das Tal ein wenig öffnet, geben die Wände den Blick auf die majestätischen Gletscher und schneebedeckten Riesen frei. Unter anderen liegt vor uns der 6025 Meter hohe Artesonraju, der wie eine eisüberzogene Speerspitze in den Himmel ragt. Der sechsstündige Marsch ist ein landschaftlicher Genuss und die Anstrengung fällt uns gar nicht auf. Leider müssen wir durch unsere Verspätung ein Camp mehr aufbauen, bevor es ins Base Camp auf 4400m gehen kann. Doch alles kein Problem, wir lassen die peruanische Gelassenheit einziehen und nehmen uns die Zeit.
Wir erreichen das Base Camp ohne besondere Zwischenfälle und machen uns sofort daran, alles für das High Camp und den nächsten strapaziösen Gipfeltag vorzubereiten. Alles muss mit – unter anderem Zelt, Isomatte, Schlafsack, Eispickel, Steigeisen und Verpflegung. Uns erwartet ein Zustieg von 1200 Höhenmetern, der anfangs über die Moränen führt und dann in den Schnee und auf den Gletscher überfließt.
Der gefährliche Weg ins High Camp und die Entscheidung
Während dem Aufstieg zum High Camp auf 5550 Metern Seehöhe schweifen unsere Blicke immer wieder ab zur Arhueycocha Lagune, die in der Sonne blau-grün glitzert und den perfekten Kontrast zu den Eisriesen, die sich darüber erstrecken, bildet. Wir sind schon spät dran und müssen uns beeilen, da die Tageserwärmung die Gefahr erheblich erhöht. Am Gletscher versuchen wir die Brücken über die bedrohlichen Gletscherspalten schnell und leichtfüßig zu passieren und höre hinter uns immer wieder Eislawinen und Séracs, Türme aus Gletschereis, in die Lagune stürzen. Neben den hausgroßen Spalten kein angenehmes Gefühl – und auch die großen Eisformationen direkt über uns machen uns Sorgen. Nach knapp dreieinhalb Stunden, einer relativ schnellen Zeit, erreichen wir das High Camp und wir werden mit einer spektakulären und unglaublich beeindruckenden Aussicht und dem Blick auf den berühmten Alpamayo, der als einer der schönsten Berge der Welt gilt, belohnt. Der Sonnenuntergang trägt noch etwas Kitsch bei und ich genieße einen Moment, wie ich ihn noch nie in meinem Leben erlebt habe. Keine Worte können die Gefühle nur annähernd beschreiben, man muss das selbst erlebt haben.
Durch die späte Ankunft hatten wir jedoch keine Zeit mehr die Flanke, die wir eigentlich am nächsten Tag befahren wollten, zu begutachten und machen das dann am nächsten Morgen, mit einem ernüchterndem Ergebnis: In den letzten 50 Metern Aufstieg hat sich eine bedenkliche Mengen Neuschnee gesammelt und ganz oben präsentiert sich eine große Schneewechte. Wir haben den ganzen Tag Zeit und in den langsam verrinnenden Stunden diskutieren wir den Durchstieg und jede möglich Line. Zu später Stunde fällt die Entscheidung: Abbruch! Der letzte Teil scheint uns allen einfach zu gefährlich und wie ich zu sagen pflege: “Besser einmal abgebrochen, wie nie mehr abgebrochen.”
Wir bauen am nächsten Tag wehmütig die Zelte ab und machen uns auf den Weg nach unten. Der dichte Nebel bestätigt einerseits unsere Entscheidung, andererseits macht er das Vorhaben zu einer gefährlichen Herausforderung. Nach dem schwindligem Abstieg waren wir froh wieder auf festem Boden zu stehen.
Fazit: Das Leben auf 5550 Metern im High Camp ist definitiv ein anderes und sollte nicht auf die lockere Schulter genommen werden. Manchmal muss man einen Schritt zurück treten, um wieder zwei nach vorne machen zu können. Auf zur nächsten Mission, das nächste Update folgt in ein paar Tagen – „hasta luego“ und des war „MOL DU“ – sauguat (Hihi)!
Bis bald,
Nadine
Eintrag #5: Mit unglaublichen Erinnerungen zurück in der Heimat
Hi Leute,
was soll man sagen, der Trip nach Peru war Wahnsinn und eine einzigartige Erfahrung, die mich auch als Menschen ein bisschen verändert hat. Kein Wunder, dass ich nach unserer Rückkehr in die Heimat, erstmals einen kleinen Kulturschock bekommen habe. Zu sehr hatte ich mich an das bunte Treiben und die einfachen Umstände, wie sie in Peru vorzufinden sind, gewöhnt und auch Gefallen daran gefunden.
Land und Leute, die fremde Kultur und unglaublich vielen neuen Eindrücke haben uns in der Cordillera Tag für Tag überwältigt, aber am meisten war jeder von uns beeindruckt von den massiven Bergkolossen. Dort wo in Österreich die Gipfelkreuze die höchsten Berge zieren, leben in Huaraz die Einwohner gemächlich ihren Alltag ohne darüber nachzudenken, was für Bergriesen bei ihnen im Garten stehen. Die Dimensionen und Lebensstandards unterscheiden sich extrem von den unseren und dort seinen Platz zu finden, war anfangs nicht einfach, doch umso mehr vermissen wir alle diese Lebensart nun.
Unsere Ziele für diesen Trip waren sehr hoch gesteckt und bei der Dimension dieser riesen Berge, ist der Erfolg immer ein wenig Ungewiss. Bei den diversen Expeditionen haben wir sehr viele gute Erfahrungswerte gesammelt und die Gegend ein bisschen besser kennen- und einschätzen gelernt, was ich als sehr wertvoll erachte. Wir konnten unsere Vorhaben leider nicht ganz umsetzen, aber frei nach dem Motto „Der Weg zum Erfolg ist keine Einbahnstraße“ reisten wir ab und werden wir beim nächsten Angefangenes zu Ende bringen.
Im nächsten Frühling werden wir dann die Reise erneut in die Cordillera Blanca antreten und ich für meinen Teil freue mich schon jetzt auf die Rückkehr an diesen magischen Ort. Dann werde ich hoffentlich wieder zu 100% fit zu sein und mich in diese große Missionen, die jetzt einmal Pause hat, stürzen.
Mit den letzten Impressionen schick ich liebe Grüße und freu mich aufs nächste Mal!