ABENTEUER Artesonraju

Nachdem Nadine bereits ausführlich auf dem Red Bull BLOG über unsere bisherigen Abenteuer in Peru berichtet hat, widme ich mich unserem letzten Kapitel: dem Artesonraju.

Der Artesonraju, 6025m, gilt wohl als einer der formschönsten Gipfel in der Cordillera Blanca, wenn nicht sogar weltweit. Vielen ist der Berg indirekt bekannt – als DER Paramount Pictures Logo Berg. Nicht nur für viele Bergsteiger hat dieser Berg eine magische Anziehungskraft, in den vergangenen Jahren haben immer wieder Skibergsteiger versucht, die 50-55 Grad steile Flanke zu befahren. Mit oder ohne Erfolg. Sie alle versuchten ihr Glück. Die Erstbefahrung gelang im Jahre 1979 dem französischen Steilwandfahrer Patrick ValIencant, der Tiroler Bergführer Stephan Keck (unser Ansprechpartner für Südamerika – an dieser Stelle DANKE Stephan) fuhr im Jahre 1998 die Wand solo und im Jahre 2013 musste der Schwedische Extremskifahrer Andreas Fransson (RIP Andreas, leider letztes Jahr tödlich in Südamerika verunglückt) 200 hm unterhalb des Gipfels umdrehen…

Wir hatten also viel gehört und gelesen über diesen Berg, fühlten uns gut akklimatisiert und wollten den Versuch starten. Leider hatte Nadine das Pech, von der letzten Expedition im Santa Cruz Tal eine Magen-Darm Erkrankung davon getragen zu haben. Davon war sie immer noch geschwächt. Trotzdem starten wir gemeinsam. Nadine ist wirklich eine extrem starke Persönlichkeit, ein zäher Knochen wenn es um ihre Gesundheit geht und so ein lebensfroher Mensch. Ich bin mir sicher sie wird in den nächsten Jahren mit vielen spannenden Projekten auf sich aufmerksam machen!

Tagebucheintrag vom 21. Juni 2015

In Südamerika ticken die Uhren anders. Um 6 Uhr sollten wir von unserem Taxifahrer abgeholt werden. Nada, keiner da. Es fahren immer wieder hupende Taxis an der Hauptstraße vorbei, einer bleibt stehen und ich dachte, ja das ist unser Taxi. Ich wusste ja nicht, dass William wieder denselben Taxifahrer organisiert hatte, hätte es mir aber denken können…

Wir packen alle Sachen (Ski, Rucksäcke, etc…) ins Auto und als wir alle im Auto sitzen fragt uns der Taxifahrer, wo wir denn hin wollen. Kommt uns sprichwörtlich spanisch vor. Als wir erklären wohin wir wollen, immer noch nichts, also steigen wir wieder aus. Wir sitzen definitiv im falschen Taxi 🙂 hahhahaa… Er möchte 3 soles (=1 Euro) für die Aktion, die wir ihm aber nicht zahlen, schließlich ist er mit uns keinen Meter gefahren. Um 6.45 Uhr kommt dann endlich unser Taxifahrer mit Williams’ Cousin, der uns als Träger begleiten wird. Der Taxifahrer freut sich uns zu sehen und zeigt uns stolz seinen erworbenen Dachträger, damit die Ski diesmal am Dach und nicht mehr im Auto Platz finden. Das letzte Mal mussten sich Nadine und Andi einen Sitz teilen bei der 3stündigen Autofahrt ins Santa Cruz Tal…

Es ist Sonntag und viel los auf der Straße. Unter anderem kommen wir in gleich zwei Polizeikontrollen, aber wir haben ja Zeit. Tranquillo, tranquillo…

Nach ca. 2 Stunden Autofahrt auf der Hauptstraße biegen wir nun in das Paron Tal ein. Eine holprige Straße schlängelt sich den Berg hoch. Vorbei an der Mautstation, passieren wir ein wenig später die Nationalpark Kontrolle. Andi hat seine Papiere vergessen, doch wir schwindeln uns irgendwie durch und dank Nadines’ Skilehrerausweis ist das Bergführerproblem auch erledigt. Ansonsten müssten wir nämlich einen Guide engagieren. Aber wir sind ja beide Guides, nur keine Bergführerinnen, sondern Skiführerinnen…

Nach 32km taleinwärts ist Endstation für unser Taxi. Nun sind wir selber die Esel, denn in das Paron Tal marschieren keine Esel (zu unwegsames Gelände) und somit müssen wir all unser Gepäck selbst tragen. Aktuelles Rucksackgewicht: 23kg! Andi hat mit dem Kameraequipment noch mehr zu schleppen. Nadine kämpft leider immer noch mit Bauchkrämpfen und entschließt sich ohne Skigepäck loszumarschieren…

Wir wandern am azurblauen Paronsee entlang, das Panorama ist unglaublich schön. Nadine kann dies leider nicht wirklich genießen, zu groß sind ihre Schmerzen, auch für ihr Bein ist die Belastung momentan zu groß. Es ist unglaublich, was für ein taffes Mädel sie ist! Nach nur einem Jahr und zwei Monaten ist sie nach offenem Schien- und Wadenbeinbruch, nach vielen Höhen und Tiefen, hier auf Skiexpedition – fetter Respekt mi amiga!

Schweren Herzens entschließt sie sich umzudrehen. Ihre Entscheidung macht sie sich bei Gott nicht leicht, aber wenn es dir Schmerzen unmöglich machen, noch Spass zu haben, dann muss man dies leider akzeptieren. Ich kann ein Lied davon singen 😉

Wir verabschieden uns von ihr und gehen weiter. Ziel: das Moraine Camp auf ca 4800m. Am Ende des Sees erblicken wir nun das erste Mal die volle Pracht des Artesonraju. Wow, massives Teil. Und da wollen wir rauf?

Der Rucksack ist schwer, jedoch sind meine Beine gut erholt. Andi kämpft sich den Berg hoch. Es ist unglaublich wie sehr die Tagesverfassung eine Rolle spielt. Mal läuft es besser, dann wieder gar nicht. Gegen 17 Uhr erreichen wir dann endlich das Moraine Camp. Unser Träger hat dankenswerterweise bereits das Zelt aufgestellt. Die Sonne ist hinter dem Gipfel verschwunden, der Wind bläst heftig und wir blicken in das Angesicht des Artesonraju. Eine formschöne Gestalt, mächtig und auch respekteinflößend. Der Gipfelaufbau scheint unbezwingbar. Stark überwechtet, überhängend. Mit dem Gedanken den Gipfel versuchen zu wollen spiele ich momentan nicht, denn ich möchte ja hinunter FAHREN. Die Wand jedoch präsentiert sich in gutem Zustand, mal schauen was der morgige Tag so bringt…

Jetzt heißt es erst Mal Wasser holen, um etwas Warmes zu kochen. Dies wird jedoch noch zur Herausforderung, da unser  Träger meint, dass es nur Wasser im Gletschersee gibt. Also das heißt mit unseren Wasserflaschen auf losem Geröll über steiles Gelände absteigen, Wasser holen und dann erst kochen. Na bravo. Ich habe HUNGER!

Andi kocht uns Nudeln, es wird langsam finster und wir verkriechen uns ins Zelt. Der Boden ist uneben, die Unterlagsmatte hart – gefühlte hundert Mal drehe und wälze ich mich. Ich vermisse sooooo sehr meine in Hatun Machay verschwundene ThermaRest Matte… Andi ergeht es gleich, doch irgendwann schlafen wir dann doch ein…

Montag, 22. Juni 2015

Bis ca. 9 Uhr haben wir geschlafen, bevor es gemütliches Frühstück in der Sonne gibt. Juhu, ein kleines Erfolgserlebnis: ich finde fließendes Wasser nur ein paar Minuten vom Basislager entfernt. Dies erspart uns nun mühsames Wasser holen im unwegsamen Gelände. Gegen 11 Uhr brechen wir mit unserem Material auf. Wir wollen uns den Artesonraju aus nächster Nähe ansehen und den Routenverlauf auschecken. Eine dreiviertel Stunde geht es über den massiven Geröllhaufen der Moräne, bevor wir am Gletscher unsere Ski anschnallen und auffellen können..

Zunächst dürfen wir hier mal drüber...
Zunächst dürfen wir hier mal drüber…

Wir sind ganz alleine unterwegs. Keine anderen Bergsteiger sind hier, nur wir, sonst niemand. Fast unglaublich. Die Umgebung ist surreal. Massive Gletscher und Berge rundherum, beeindruckend!

Dienstag, 23. Juni 2015

Um 3 Uhr morgens klingelt der GPS-Wecker. Ich bin gleich wach, schließlich habe ich sehr schlecht geschlafen. Leichte Kopfschmerzen begleiten mich.

Es ist eine sternenklare Nacht, der Wind bläst kräftig. Andi und ich versuchen so viel nahrhaftes wie möglich in uns hineinzustopfen. Nach 4 Uhr brechen wir auf und verlassen das Basislager. Im Licht unserer Stirnlampen kämpfen wir uns über das Geröll. Andi ist weit voraus, in weiter Ferne erkenne ich den Lichtkegel seiner Stirnlampe. Ich lasse mir Zeit, denn über den Geröllhaufen gilt es vorsichtig zu sein. Eine Verletzung wäre fatal. Schließlich fliegt hier kein Heli und ein Rettungstrupp ist Tage unterwegs… Da sind wir in den Alpen unglaublich verwöhnt!

Ich erreiche das Materialdepot. Andi wartet dort auf mich. Ich kämpfe mich in meine Skischuhe hinein. Die Schale ist hart und so dauert es einige Minuten bis ich endlich in den Schuhen drinnen bin…

Walking in the dark...
Walking in the dark…

Es geht weiter mit Skiern über den Gletscher. Nach dem ersten Flachstück wird es kontinuierlich steiler. Ein Steilstück erfordert den Wechsel auf Steigeisen, jedoch können wir danach wieder auf Skiern weiter marschieren. Eine Skispur ist über den Gletscherbruch erkennbar der wir folgen. Die Gletscherspalten sind riesig!

Es ist bitterkalt, der Wind pfeift. Ohne meine Daunenhandschuhe wäre ich aufgeschmissen. Für mich ist die Entscheidung gefallen, dass ich Andi nur bis zum Bergschrund begleiten werde. Ich habe einen Hungerast, den ich mit Energieriegeln nicht überbrücken kann, ich bin müde. Meine Motivation die Wand zu klettern und zu fahren ist auf ein Minimum geschrumpft. Zwar weiß ich dass ich das schaffen könnte, aber mental bin ich nach diesem Winter so ausgelaugt, dass es besser ist auf mein Bauchgefühl zu hören und umzudrehen. Für mich die richtige Entscheidung. Für Andi ist die Entscheidung auch in Ordnung, schließlich wissen wir, dass wir hier am Berg auf uns alleine gestellt sind. Wir wären ohnehin seilfrei gegangen und diese Berge erfordern viel Erfahrung, vielleicht ist es noch zu früh… Oder wie heißt es so schön, im Leben hat alles seinen Grund…

Gletscherselfie ;-)
Gletscherselfie 😉

Wir machen gemeinsam Pause am Bergschrund, bevor ich mich für die Abfahrt und Andi sich für den Aufstieg bereit macht. Ich fahre über den Gletscherbruch ab, muss dabei einige Male stehen bleiben, um Luft zu holen. Die Höhe ist wirklich ein Faktor, den man ERFAHREN muss, ansonsten kann man sich das nicht vorstellen… Es geht alles viel langsamer vor sich…

Am Moränenfeld suche ich mir einen windgeschützten Platz, um Andi von hier aus zu beobachten. Er klettert bis zur ersten Felsinsel, dann dreht auch er um. Über den Bergkamm ziehen immer wieder dichte Wolken Richtung Arteson. Das Risiko im Nebel da oben gefangen zu sein erscheint ihm zu groß. Es ist eine 50/50 Chance. Wir haben es heuer mit dem El Nino Phänomen zu tun, da ist das Einschätzen des Wetters noch schwieriger, da es häufig schwankt und wechselt.

Er ist enttäuscht es nicht geschafft zu haben, doch ich bin mir sicher er wird wieder kommen und es dann schaffen! Der Berg steht noch länger da und er ist ja noch jung!

Die Abfahrt über den flachen Gletscher mit den harten Windgangeln erweist sich nochmals als konditionelle Herausforderung.

da brennen die Oberschenkel...
da brennen die Oberschenkel…

Gegen 14.30 Uhr sind wir zurück im Basislager. Jetzt heißt es erst mal etwas kochen und Hunger stillen…

Mittwoch, 24. Juni 2015

Eine weitere unruhige Nacht mit wenig Schlaf. Die Unterlagsmatte ist mega hart, meine Hüften schmerzen wenn ich seitlich liege. Der Wind pfeift die ganze Nacht. Ich habe das Gefühl, dass das Zelt gleich weg fliegt. Irgendwann wird es dann gottseidank hell, wir stehen auf, packen unsere Sachen zusammen. Durch den Wind und die relativ kalten Temperaturen bleibt keine Zeit für das Frühstück. Es muss ohne gehen. Die Sachen sind im Rucksack verstaut, ein letzter Blick zum Arteson. Heute wäre keine Besteigung möglich gewesen, zu stark war der Wind.

vom Winde verweht...
vom Winde verweht…

Der Abstieg mit dem schweren Gepäck drückt auf den Rücken und mein kaputtes Knie. Jedoch wird es wieder wärmer. Wie sehr freue ich mich auf ein bequemes Bett, eine Dusche und etwas zu ESSEN:-) Am See angekommen begleitet mich für eine Weile eine Kuh, doch mein Gepäck will sie nicht tragen. Blöde Kuh 😉 hahhaa…

Schweres Gepäck... Selber blöde Kuh ;-)
Schweres Gepäck… Selber blöde Kuh 😉

Endlich. Zurück am Ausgangspunkt. Nach einer halben Stunde in der Sonne liegend, kommt unser Taxifahrer. Wir freuen uns ihn wieder zu sehen. Er bringt uns wieder zurück nach Huaraz, wo vorerst einmal die wohlverdiente Dusche im Casa Maria auf uns wartet…