TransX – über alle Berge

Wir sitzen im Zug, Tränen laufen mir ins Gesicht. Mein Ohr ist zu, die Nase läuft wie ein Wasserfall, ich habe höllische Schmerzen, fühle mich wie ein Häufchen Elend. Pia sitzt mir gegenüber. Beide sind wir gesundheitlich angeschlagen. Wenigstens geht es ihr nun wieder besser. An diesem Tag sollte ich glücklich und stolz sein, doch mein gesundheitlicher Zustand lässt dies nicht zu. Ich bin gefangen in meiner eigenen kleinen Welt. Nehme die Außenwelt nur zögerlich wahr. Neben uns Olli, Ingrid und Jens die mit uns die Alpen überquert haben. Ihnen geht es gut.

Doch der Reihe nach…

Gemeinsam mit Pia Widmesser & Ingrid Schlott soll es in Begleitung von Kameramann Olli Grau und Fotograf Jens Klatt 7 Tage über einen Teil der Alpen gehen. Eine Durchquerung der besonderen Art, schließlich wollen wir über das Kaisergebirge weiter über die Osttiroler Berge bis zu den Dolomiten. Von Nord nach Süd. Größtenteils mit eigener Muskelkraft, doch sollen uns die vorhandenen Lifte auf der Strecke (im Rahmen der Tirol Snow Card) auch eine Hilfe sein, schließlich sind wir ja doch im Herzen abfahrtsorientierte Freerider.

Zwei Tage vor Beginn der Tour steht der Start auf wackeligen Beinen. Pia ist krank. Werden wir starten können? Einen Tag vor Abreise dann der Anruf von Pia. Wir starten, obwohl sie noch nicht gesund ist?

Tag 1, Donnerstag 27. Februar 2014, 8 Uhr

Treffpunkt Bahnhof Oberaudorf. Wir laden unser Material in Olli&Ingrids’ VW Bus und los geht die Reise. Grüne Wiesen im Inntal, die Vögel zwitschern, wo ist der Schnee?
Asching. Am Parkplatz rechts neben dem verwaisten Schlepplift parken wir den Bus. Gewichtscheck mittels Olli’s Kofferwaage – 11 kg auf meinem Rücken? Trotz zurückgelassener Steig- und Harscheisen ein stolzes Gewicht.

Der Aufstieg über’s Egersgrinn erfolgt im Nebel, doch wir haben Glück und als wir die Pyramidenspitze erreichen kommt die Sonne zum Vorschein. Die Firnabfahrt endet bald im Latschendickicht. Dort wo normalerweise meterhoher Schnee liegt, kämpfen wir uns lachend durch die Latschen.

der Kampf durch die Latschen..
der Kampf durch die Latschen..

Bald können wir die Skier abschnallen und zusätzliches Gewicht (Ski&Tourenschuhe) erfreut sich am Rücken und an den Schultern. Der Abstieg über den schmalen, steilen Steig im Wald wird zur Tortur. Mein Knie meldet sich zu Wort. Wieder einmal. Es schmerzt, doch Schmerzen bin ich gewöhnt. Trotzdem, die Frage nach dem “Warum?” stellt sich nicht.

Durch die vielen Film- und Fotostopps erreichen wir die Hinterbärenbadalm erst in der Dämmerung. Stolze 700 Höhenmeter bergab haben wir zu Fuß zurück gelegt. Endlich. Ziel erreicht für heute. Wir heizen in der gemütlichen Stube des Bergführerhüttls’ ein und der leere Magen erfreut sich von Fertignudeln verköstigt zu werden.

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Erfahrungsgemäß sind die Nächte im Schlaflager wo nicht eingeheizt ist, kalt. Und auch die Vielzahl an Decken kann nicht ändern dass man friert. Da Pias’ Gesundheitszustand nicht der Beste ist, holen wir die Matratzen vom Schlaflager und machen es uns in der warmen Stube gemütlich und schlafen dort ein.

Tag 2, Freitag 28. Februar 2014

Tagwache ca. 6.30 Uhr. Bis wir jedoch los kommen (Frühstück, zusammenpacken, Hütte aufräumen) ist es weit nach 8 Uhr. Aus dem Nebel tröpfelt es leicht. Die Orientierung fällt schwer. Dank Karte und GPS wären wir für die Orientierung perfekt ausgestattet, doch funktioniert das GPS nicht und Karten lesen will auch gelernt sein. Im Nebel ist es schwer mit Orientierungspunkten, doch der Wettergott meint es gut mit uns. Ein kurzes Sichtfenster öffnet uns die Augen und wir wissen nun wo wir uns befinden. Pia hatte Recht. Der Verhauer kostet uns wertvolle Zeit, doch sind wir nun am richtigen Weg Richtung Rote Rinn Scharte.

Schön ist es hier. Und wir sind ganz alleine unterwegs. Der Gipfelhang mit den nicht enden wollenden Spitzkehren zerrt an der Kraft. Die letzten 100 Höhenmeter stapfen wir über die Rote Rinn Scharte hoch. Der Ausblick – gigantisch!

Oben bläst recht stark der Wind. Es ist kalt. Wir machen uns bereit zur Abfahrt. Hart, verspurt, über alte Lawinenkegel geht es hinunter Richtung Gruttenhütte und von dort dann abwechselnd per Ski und dann wieder zu Fuß zur Wochenbrunnalm, wo der Radler als Belohnung für die körperliche Anstrengung wartet.

Geschafft. Und wir sind geschafft.
Geschafft. Und wir sind geschafft.

Via Taxi geht es weiter nach Going zum Blattlhof. Dort wartet eine erholsame Dusche und ein hervorragendes Abendmenü auf uns…

Tag 3, Samstag 1. März 2014

Skilifting in der Skiwelt Wilder Kaiser. Nach zwei harten Tagen auf Tour sind wir froh uns hochlifteln zu lassen. Gemütlich wird es allerdings nicht, denn wir haben einen straffen Zeitplan. Wie auf einer Schnitzeljagd geht es von einem Lift zum anderen. Nur keinen falschen Lift nehmen, denn das würde wertvolle Zeit kosten.

Besser hätte das Timing gar nicht sein können. Wir erreichen die Talstation in Hollersbach und der Regionalzug nach Uttendorf fährt in 2 Minuten… Da hatten wir wohl Glück 😉 Die Gratisbenützung der Regionalbahn mit Skiausrüstung ist gratis! Ein erwähnenswerter Service des Landes Salzburg.

Next Stopp: Uttendorf. Von dort geht es mit dem Bus weiter zum Enzinger Boden und per Gondel dann weiter auf die Rudolfshütte. In den Gondeln sind Betonklötze zum Gewichtsausgleich wegen des starken Windes deponiert. Wie so oft diesen Winter herrscht oben in der Höhe starker Wind und es hat keinerlei Sicht. Wir studieren die Karte, erwägen Optionen. Werden wir morgen den Übergang nach Osttirol schaffen?

Tag 4, Sonntag 2. März 2014

Der Blick in der Früh aus dem Fenster verspricht nichts Gutes. Nebel, nichts als Nebel. Doch wenigstens hat der Wind nachgelassen. Es ist 7 Uhr morgens. Frühstück und erst mal abwarten.

Der Plan die Granatspitze zu besteigen und dessen Südwestflanke zu befahren ist gestorben. Das Wetter lässt dies nicht zu. Mein Vorschlag ist es, dass wir zumindest den Übergang über den Kalser Tauern versuchen. Zunächst heißt es abwarten. Am Wetter ändert sich bis 10 Uhr jedoch wenig. Trotzdem wagen wir die Auffahrt mit dem Medelzlift. Oben angekommen – totales White Out. Ohne GPS wäre ein Weiterkommen unmöglich. Gottseidank funktioniert das Gerät wieder. Der Liftler an der Bergstation schüttelt nur den Kopf als wir erzählen, dass wir nach Kals wollen. Verständlich bei diesen Bedingungen.

Wo geht es hier bitte weiter?????
Wo geht es hier bitte weiter?????

Abwechselnd übernehmen wir die Führungsarbeit. Eine Person navigiert mit dem GPS, eine Person wirft Schneebälle vor die erste Person, um Konturen ersichtlich zu machen, eine Person spurt. Das funktioniert recht gut. Neue Technik die sich etabliert. Im Nebel, bei völliger Orientierungslosigkeit ist es unmöglich sich anders fortzubewegen. Die 20 cm Neuschnee erleichtern das Fortankommen auch nicht gerade.
Das GPS zeigt nur noch wenige Meter bis zum ersten Ziel: der Kalser Tauern, 2515 m. Von dort müsste es nun ohne nennenswerte Schwierigkeiten (felsige Absätze, etc.) bergab gehen. Und da ist es. Das Gipfelkreuz. Kaum zu erkennen im Nebel.

300 Tiefenmeter später, mit selber Fortbewegungstechnik lässt sich der Talgrund erkennen. Der Nebel lichtet sich ein wenig, doch nur in Fahrtrichtung. 14 km durch das Dorfer Tal stehen uns bevor. Teilweise zum abfahren, aber größtenteils zum schieben. Die Ruhe und Abgeschiedenheit entschädigt für die Anstrengung. Nur wir inmitten dieser eindrucksvollen Bergwelt.

Kurz vor Kals verengt sich das Tal, der Normalweg endet. Wo geht es nun weiter? Siehe da – eine Tür im Fels. Wir öffnen die Tür und begehen einen Fußgängertunnel. Also hat sich die Stirnlampe doch bezahlt gemacht. Wir marschieren durch den Tunnel und sind nun kurz vor Kals. Im Skatingschritt geht es nun der Loipe entlang bis ins Skigebiet nach Kals. Und wieder: perfektes Timing. Kurz vor 16 Uhr fahren wir mit einer der letzten Gondeln hoch ins Großglocknerskigebiet. Home sweet home. Wir sind angekommen. Dort wo der Winter heuer zu Hause ist. Ein Anruf daheim und Taxi Mama und Simon holen uns bei der Talstation ab und bringen uns ins Felbertauernstüberl. Danke dafür! Wie immer werden wir bestens verköstigt, doch bin ich froh mich bald aufs Ohr legen zu können.

Tag 5, Montag 3. März 2014

Die nächsten tausend Höhenmeter und etliche Kilometer stehen bevor. Diesmal heißt unser Taxi Service Hans Mayer. Ein Freund und Wildwasserpaddelkollege von Jensi, Olli & Ingrid. Er bringt uns mit seinem VW Bus von Matrei nach Ströden. Von dort geht es frühmorgens wieder per Muskelkraft weiter ins Umballtal. Unglaublich diese Schneemassen hier!

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Es folgt ein steiler Anstieg zur Stürmitzalm und weiter ins Großbachtal. Der Schnee glitzert, ein Traum! Gottseidank war der prognostizierte Wetterbericht nicht richtig. Ein strahlend schöner Tag, besser hätte es nicht sein können! Und wieder, keine Menschenseele unterwegs.

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Die Spurarbeit erfolgt abwechselnd, bei 30 cm Neuschnee strengt das ganz schön an. Endlich. Geschafft. Wieder ein Übergang. Die Neue Reichenberger Hütte in Sichtweite. Das Wetter trübt langsam ein. Die Abfahrt wird wieder einmal zu einem halben Blindflug. Über das Trojeralmtal geht es nun abwechselnd fahrend und schiebend bis nach St. Jakob. Dem heutigen Endziel.

Leere Mägen treiben uns als aller Erstes in den Spar Markt. Ein Paradies wenn man Hunger hat 🙂 Ich bin total dehydriert und merke dass sich eine Erkältung breit macht. Uije, nicht gut! Im Gästehaus Feldner checken wir müde und zufrieden ein. Kurz umziehen und dann schon wieder Essen gehen. Volles Programm. In der Tandlerstube gönnen wir uns ein wahres Festmahl bevor es bereits um 21 Uhr ins Bett geht.

Nicht lange, denn die arme Pia hat ihren Husten noch immer nicht ausgestanden. Sie kann nicht schlafen und ich natürlich auch nicht. Nach kurzer Zeit geht es dann mit Matratze und Bettdecke ins Nebenzimmer auf den Boden zu Olli, Ingrid und Jensen. Na dann, gute Nacht.

Tag 6, Dienstag 4. März 2014

Die Erkältung schlägt zu Buche. Ich fühle mich schlapp und energielos. Doch anstatt einen Pausetag einzulegen (was der Sturschädel nicht zu lässt) geht es weiter. Heute sind es ja “nur” 500 Höhenmeter und etliche Kilometer…

Vom St. Jakober Skigebiet steigen wir Richtung Großes Degenhorn auf. Den Plan dieses zu besteigen und Richtung Innervillgraten abzufahren müssen wir leider verwerfen, denn Nebel zieht ein und die Spurarbeit aufgrund des Neuschnees erweist sich schwieriger als erwartet. So heißt es umplanen und umdenken.

Die Abfahrt ins Winkeltal erweist sich am sinnvollsten. Östlich der Ochsenlenke steigen wir kurz auf und können bei kurzem Wetterfenster in den ersten Hang einfahren.

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Eine abenteuerliche Abfahrt beginnt. Die Schneequalität ist gut, jedoch lässt die Bodensicht zu wünschen übrig. Wieder, keine Menschenseele unterwegs. Die Volkzeinalm ist in Sichtweite, wir treffen auf zwei Skispuren. Das Spiel aus Fahren & Schieben beginnt aufs Neue.

Heutige Fahr-Endstation: Reiteralm, 1500 m. Weiter geht es nicht mehr. Hier beginnt die Asphaltstrasse. Der letzte Postbus wäre um 14 Uhr gegangen. Nun ist es knapp 15.30 Uhr, also zu spät. So kehren wir in der Reiteralm ein und sie organisieren uns freundlicherweise ein Taxi.
Bus nach Innichen? Geht in 4 Minuten. Der Taxifahrer drückt auf das Gaspedal. Es herrscht reges Treiben im Dorf von Sillian. Heute ist Fasching und es ist gerade der Faschingsumzug im Gange. Und wieder. Wir haben Glück und sitzen rechtzeitig im richtigen Bus der uns nach Innichen bringt. Die Sextener Dolomiten leuchten im Abendrot. Wow! Der Tourismusverband Sexten hat uns ein wunderschönes Hotel am Fuße der Dolomiten organisiert. Das Hotel Waldheim. Danke dafür!

Nun hat es mich wirklich erwischt. Ich bin krank. Doch aufgeben? So knapp vor dem Ziel? Fehlanzeige.

Tag 7, Mittwoch 5. März 2014

Der Tag beginnt und endet wie in Trance. Ich könnte im Hotel bleiben und mich ausruhen. Doch mein Kopf ist wie immer stärker. Sturschädel oder Kämpferin. Was auch immer. Das Ziel vor Augen möchte ich nicht aufgeben.

Wieder stehen uns über 1000 Höhenmeter und einige Kilometer bevor. Das Panorama – wunderschön! Doch nimmt der Geist dies nur am Rande wahr. Leider. Zu sehr bin ich mit meinem gesundheitlichen Zustand beschäftigt.

Von der Fischleinhütte geht es über die Talschlusshütte Richtung Drei Zinnen. An diesem Tag treffen wir recht viele Tourengeher. Kein Wunder bei dieser Szenerie und diesen Bedingungen.

Ich schleppe mich hoch. Meine Beine arbeiten recht gut, aber ich bekomme schwer Luft und meine Nase läuft wie ein Wasserfall. Es ist ein Kampf. Doch bin ich ein Stehauf-Weiblein und irgendwann stehen sie da. Die 3 Zinnen. Prachtvoll, mächtig, voluminös. Wir haben es geschafft. Gemeinsam am Ziel. An der 3 Zinnen Hütte machen wir Pause und stärken uns mit Schokolade. Mich fröstelt es, es geht mir beschissen. Ich nehme alles nicht so wahr, möchte einfach nur ins Bett und schnellstmöglich wieder gesund werden.

Während das Team noch am Berg für Filmaufnahmen bleibt, fahre ich in der Zwischenzeit ins Tal. Es wird noch eine lange Reise, denn es geht heute abend noch nach Hause. Mit dem Bus nach Innichen und dann weiter mit dem Zug nach Oberaudorf wo das Auto steht…

Und da sitzen wir. Im Zug. Tränen laufen mir ins Gesicht. Mein Körper ist total am Ende. Die Ohren sind zu. Mein Kopf dröhnt. Schmerzen. In Trance fahre ich an diesem Abend noch nach Innsbruck. Heim. Ins Bett. Ausschlafen.

Tage später liege ich immer noch im Bett. Bronchitis und Nebenhöhenentzündung. Auch wenn mir bewusst ist wie wichtig unsere Gesundheit ist, manchmal fordert man es einfach zu stark heraus. Doch der Körper rächt sich. Früher oder später.

Es war eine schöne, abenteuerliche, aufregende Reise. Mit einigen Höhen und Tiefen. Wir hatten Spass, haben viel erlebt und ich bin froh und dankbar, dass wir das gemacht haben. Danke an das gesamte Team, im Speziellen an Pia, dass ich dabei sein durfte!

Ingrid, Pia, Mel
Ingrid, Pia, Mel

…Und da standen wir. Im Angesicht der majestätischen 3 Zinnen. Geschafft. Unsere Transalp von Norden nach Süden. Vom Kaisergebirge bis in die Dolomiten. Dazwischen lagen etliche Höhenmeter und Kilometer, Höhen und Tiefen, Gesundheit und Krankheit, grüne Wiesen und Powder, Sonnenschein und komplettes White-Out, einsame Täler, nette Menschen,… Danke an das gesamte Team die die Strapazen auf sich genommen haben! Was für ein Abenteuer!